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Artikel zur Berliner Politik mit Dr. de Maizière und Prof. Flämig im Tagesspiegel

 

Green Economy 2.0 für Berlin

Angesichts der Sachstandsberichte des Weltklimarates IPCC von 2001 und 2007 will Deutschland, so die Beschlusslage des Bundestages, seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 %, bis 2030 um 55 %, bis 2040 um 70 % und bis 2050 um 80-95 % gegenüber 1990 reduzieren.

Um diese Ziele zu erreichen, muss Deutschland einen massiven Strukturwandel initiieren und umsetzen. Dieser Umbruch erfordert Umstellungen in unserer energierelevanten Lebensweise und neue finanzpolitische Prioritäten. Aber Deutschland hat dadurch die Chance, als Kompetenzland für ökologisches Wirtschaften seine ökonomische und soziale Zukunft in der Globalisierung zu sichern und damit auch die der nächsten Generationen.

Die deutsche Hauptstadt Berlin ist prädestiniert als Referenzstandort für die besten Lösungen im anstehenden Innovationszyklus, der in seiner Bedeutung den Zyklen der industriellen Revolution nicht nachstehen darf. Dafür muss die Stadt eine Gesamtstrategie entwickeln, die auf vielen bereits vorhandenen Bausteinen und Strukturen systematisch aufbauen muss und kann.

In dieser Strategie für Berlin müssen Wirtschaftspolitik, Wissenschaftspolitik, Stadtentwicklungspolitik, Infrastrukturen und Umweltpolitik in einem Zusammenhang gedacht werden. Diese Kompetenzpartner müssen im zukünftigen Senat in allen Fragen des ökologischen Strukturwandels in Berlin eng und zielorientiert zusammenarbeiten. Sie sollen sich dabei an den Emissionszielen der Bundesrepublik Deutschland, an dem Langfristziel von maximal 2 Tonnen Treibhausgas pro Person pro Jahr sowie an der Notwendigkeit ausrichten, dass Berlin zu einem „Jobmotor" wird, der mit vielen innovativen Dauerarbeitsplätzen zur Wirtschaftskraft von München und Hamburg aufschließt.

Eine Strategie Green Economy 2.0 muss die Stadt als lebendigen Organismus begreifen, der durch die Unterstützung von Bürgersinn und Eigeninitiative, von Qualifizierung, Innovationsarbeit und mittelständischen Unternehmern ein Mehrfaches des bisher genutzten Kraftpotentials freisetzen kann. Sie muss jetzt aber die strukturellen Bedingungen für den notwendigen Umbruch schaffen. Dabei sind folgende Schwerpunkte unverzüglich anzugehen:

  1. Berlin muss 2020-2030 mindestens 1500 MW seiner 2500-MW-Spitzenleistung für die elektrische Versorgung durch erneuerbare Energiequellen abdecken. Dabei soll die Stromwirtschaft der Stadt insbesondere auf nordostdeutsche Windparks zurückgreifen, die angesichts ihrer Überkapazitäten solide Stromabnehmer brauchen. Diese Energiequellen bieten auch eine gute Grundlage für die Wärmeversorgung Berlins (70 % des gesamten Energieverbrauchs).
  2. Berlin muss dazu ein intelligentes Stromnetz mit einem innovativen stadtweiten Speichersystem bereitstellen, das sich sowohl auf dem Berliner Fernwärmenetz als Großspeicher als auch auf einem dezentralen Netzwerk aus Premiumspeichern für Wärme- und Stromversorgung sowie Thermospeichern für Heizung, Warmwasser- und Kälteversorgung abstützen muss. Ein solches Speichersystem müsste final eine Speicherleistung im 4stelligen MW-Bereich haben.
  3. Zu diesem Speichersystem sollen auch die Batterien der Elektroautos Berlins beitragen, die bis 2020 ca. 10 % der Berliner Automobilität abdecken sollen, um dann schrittweise eine Größenordnung von 500.000 Fahrzeugen zu erreichen. So können die stadtweit eingesetzten Premiumspeicher über Stromtankstellen ihre gespeicherte Wind- und Solarenergie preisgünstig an die Elektrofahrzeuge weitergeben, deren Batterien in Zukunft sogar teilweise als Reservespeicher dienen können.
  4. Berlin muss – analog zu den Zeiten der industriellen Revolution - die Chance nutzen, durch ökologisch, technologisch und ökonomisch vorbildliche Infrastrukturen zu einem Schaufenster des modernen Deutschland zu werden. Berlin kann und soll Vorreiter der Energiewende, die Hauptstadt der Green Economy in Deutschland werden.
    Deshalb sollte das innovative Energiesystem überall in der Stadt (stadtbildverträglich) wahrnehmbar sein und für Berliner und Besucher motivierend zugänglich gemacht werden.
    Forscher, Unternehmer, Investoren und Existenzgründer sind von Anfang an durch Initiativen der Wirtschaftsförderung einzuladen, vor Ort in Berlin die ganze Wertschöpfungskette der Energiewende mit Entwicklungen, Produkten und Dienstleistungen sicherzustellen oder abzurunden. Dabei muss die Berliner Wissenschaft einen wichtigen Kooperationsbeitrag leisten.
    Berlin soll in den nächsten Jahrzehnten auf der System- und Komponentenebene zu einem führenden Standort der grünen Industrialisierung in Europa werden.
  5. Der Erfolg des Berliner E-Mobilityprogramms als Grundlage für die Entwicklung und Produktion modernster Antriebs- und Batterietechniken bzw. für den Aufbau einer E- Mobilitäts-Industrie- und Dienstleistungsbranche (z.B. mit Batteriewechselstationen, Park-Load-and Ride-Services, Carsharing-Services, ÖPNV-Konzepten mit Flotten- und Individuallösungen, Tourismusangeboten, Wohnungsdienstleistungen, City- Logistik) hängt wesentlich von der Bereitstellung einer optimalen Infrastruktur ab. Diese muss im Rahmen einer perspektivischen Stadtentwicklungsplanung sichergestellt werden und zwar im Hinblick auf verkehrliche Integration, energetische Vernetzung, informationstechnologische Infrastruktur und eine intelligente integrierte Nutzerinfrastruktur mit ca. 25.000 Tankpunkten bis 2020 (inkl. Verfügbarkeit, Ladung, Wartung, Reparatur und Anwendungssicherheit).
  6. Berlin benötigt dringend ein dynamisches Umweltkataster, um für öffentliche Gebäude, Gewerbegebäude, Infrastrukturen, Wohngebäude und Privathäuser die aktuellen Verbrauchswerte kontinuierlich (datengeschützt) zu erfassen und um diese mit internationalen Benchmarks fortlaufend vergleichen zu können. Nur so kann eine Systematik entwickelt werden, um Objekte, Quartiere, Bezirke usw. energetisch so zu sanieren, dass die Emissionsziele bei optimalem Ressourceneinsatz fristgemäß erfüllt werden können. Dabei kann gut auf Erfahrungen der Energiesparpartnerschaft Berlin aufgebaut werden.
  7. In Fortsetzung des erfolgreichen Programms „Energiesparpartnerschaft Berlin", das bereits bei über 500 Liegenschaften des Landes Berlin ca. 65.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart hat, muss jetzt flächendeckend der gesamte öffentliche Gebäudebestand energetisch saniert werden und dabei insbesondere Berliner Klein- und Mittelunternehmen als Contractingpartner eingebunden werden. Dabei ist zukünftig die Implementation von elektrischen und thermischen Volatilitätsspeichern ebenso zu berücksichtigen wie der Einsatz von intelligenter Solartechnologie (hybride Solarmodule) als dezentrale zusätzliche Energiequelle, deren Weiterentwicklung und Produktion in Berlin angesiedelt werden sollte.
  8. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Handwerk, dem Berliner Dienstleistungssektor und der Berliner Industrie soll stadtweit ein flächendeckendes Smart-Metering- System aufgebaut werden, das der Abnehmerseite eine hohe Transparenz über die energetischen Verbräuche bereitstellt. Ergänzend dazu muss in jedem Bezirk eine Energiesparberatung eingerichtet werden, die sowohl für Wohnungsgesellschaften als auch für Eigentümer von Häusern und Wohnungen Erfahrungswerte und Marktüberblicke zur Verfügung stellt, die aufzeigen, welche Energieeinsparungen sinnvoll und vorrangig sind, um zur Erfüllung der Emissionsziele angemessen beitragen zu können.
    Beispiele sind kostensenkende Energieeffizienzinvestitionen bei der Gebäudeinformationstechnik, bei den Heizungs- und Klimaanlagen, bei der Wärmedämmung, der Fensterisolierung, den Beleuchtungssystemen, bei den diversen technischen Geräten (inkl. Haushaltsgeräte) usw. bis hin zu hauseigenen Blockheizkraftwerken und Mikro Grid-Lösungen für Wohnparks und Campus- Areale.
  9. In Verbindung mit den Kammern muss auch die Energiesparberatung für die Berliner Wirtschaftsunternehmen weiter professionalisiert werden, damit diese z.B. bei Gebäudeautomatisation, Elektromotoren, Pumpen, Druckluftsystemen, Trocknungstechnik, Klimaanlagen, Lüftungsanlagen bzw. Ventilatoren ein Optimum an Energieeinsparungen realisieren können. In diesem Kontext muss Berlin mit dem Bund und seinen Institutionen geeignete Finanzierungsinstrumente (z.B. KfW- Förderkredite, Steueranreize) aufschließen, um diese Innovationen zu beschleunigen. Weiterzuverfolgen ist seitens des Bundes insbesondere die „Klimaschutz-Rente", durch die zurückzahlbare und zu verzinsende Finanzhilfen aus der Mitte der Gesellschaft gewonnen werden können.
  10. Berlin muss zu der europäischen Referenzstadt für partizipatives Contracting werden, also für Energiesparvereinbarungen, die auf mittlere Sicht Vorteile für alle Beteiligten bringen. Dieses Contracting muss, ggf. mit verbesserten Rahmenbedingungen und unter Mitwirkung des Bundes, so attraktiv gestaltet werden, dass Regulierungen mit Zwangscharakter auf ein Minimum beschränkt werden können. Dadurch soll die Motivation für mehr Energieeinsparungen positiv unterlegt werden.
    In Pilotprojekten soll die Hebelwirkung von weiterentwickelten Contractingmodellen erprobt und verglichen werden. Für Mietwohnungen soll grundsätzlich angestrebt werden:
    • Keine Zusatzbelastungen für die Mieter aus Basis-Investitionen in die Energieeinsparung mit mittlerem Return on Invest, indem Investitionen und Einsparungen sich für den Mieter aufheben. Ergänzend müssen Anreize für Mieter geschaffen werden, durch ihr persönliches Verhalten ihren Energieverbrauch zu reduzieren.
    • Dauerhafte Vorteile für den Vermieter aus den Investitionen für die energetische Sanierung.
    • Langfristige und auskömmliche Kundenbeziehung für die wirtschaftlichen Contractingpartner, die aus den Einspareffekten sowohl ihr Investment als auch die Grundinstandhaltung finanzieren können müssen.
    Die bereits bestehenden Contracting-Initiativen in Berlin für Eigenheimbesitzer müssen ausgeweitet, fortlaufend optimiert und unterstützt werden; dabei sollte sichergestellt werden, dass potentielle Kunden zwischen Anbietern und Lösungsansätzen auswählen können und spätere Wechsel möglich bleiben. Für Eigenheimbesitzer, die Thermospeicher zur Unterstützung des Berliner Energiespeichersystems auf ihren Grundstücken installieren, muss es verbilligte Partnertarife und sonstige Anreize geben. Für die Installation von Premiumspeichern bietet sich an, dass das u.a. durch ein „E-Mobile-Paket" honoriert wird, zu dem die Installation eines Tankpunktes sowie Sonderstromtarife gehören.
  11. Berlin muss den Aufbruch in der Energiewende nutzen, um Pilotstandort für Innovationsprojekte im Bereich der Energie- und Ressourceneffizienz zu werden. Für den Infrastruktursektor ist beispielhaft die gezielte Zusammenführung von Klärschlamm aus der Abwasserreinigung mit Bioabfällen aus der Müllentsorgung zu nennen, wodurch wesentlich höhere Wirkungsgrade bei der Energieerzeugung ermöglicht werden (siehe Modellanlage in Ulsan, Südkorea). Die Berliner Wasserbetriebe und die Berliner Stadtreinigung sind aufgerufen, einen solchen Lösungsansatz in Berlin zu projektieren. Derartige Wege, das Denken in Branchen und Disziplinen zu überwinden, müssen in Berlin systematisch entwickelt, weiterentwickelt, erprobt und als Produkte und Dienstleistungen angeboten werden.
  12. Berlin braucht für die Strategie „Green Economy 2.0", die die Stadt von der Ressourcenbereitstellung bis zum täglichen Energie- bzw. Ressourcenverbrauch im Arbeits- und Wohnumfeld für das Zeitalter der Nachhaltigkeit fit machen soll, einen Pilotstandort, wo diese Visionen realisiert, erprobt und für Interessierte aus Berlin und der ganzen Welt nachvollziehbar visualisiert werden. Der ehemalige Flughafen Tegel bietet sich an als Ort für eine solche Musterstadt der Zukunft, wo z.B. Microgrids, Nullenergiehäuser, E-Mobilität, modernste Ver- und Entsorgung, abfallfreies Recycling, aber auch innovative und vorbildlich nachhaltige Partner aus den wichtigsten Zukunftstechnologien mit ihren Betrieben bzw. Instituten zu einem optimalen Zusammenwirken verbunden werden sollen. Die Berliner Infrastrukturbetriebe sind aufgefordert, an der Seite der Wista (Adlershof) ein solches Konzept mitzutragen und einer zügigen Realisierung zuzuführen.

 

Verantwortlich für den Inhalt: Prof. Dr. Dieter Flämig/INFRANEU (federführend)